Erdogan und die „Festung Europa“: faschistoide Entgrenzung und Extremismus der Mitte

Erdogan und die „Festung Europa“: faschistoide Entgrenzung und Extremismus der Mitte

Redebeitrag für das BgR zur Seebrücke-Demo, R.F., Aschaffenburg 7. März 2020

Das Bündnis gegen Rechts bedankt sich bei den OrganisatorInnen der heutigen Veranstaltung zu den unsäglichen Vorgängen am griechisch-türkischen Abschnitt der EU- Außengrenze.

Unsere Sorge gilt in erster Linie den Menschen auf der Flucht, aber auch einer erneuten Stimmungs­mache gegen Migranten und gegen eine kulturell vielfältige Gesellschaft. Das war doch nach 2015 der Katalysator für den parlamentarischen Triumphzug der AfD mit ihren Faschisten!

Jetzt wird wieder die Europa verschlingende Flüchtlings­flutwelle an die Wand gemalt, mit der schon die ganze Zeit der schmutzige Erdogan-Deal begründet wurde. Was eine solche Projektion anrichten kann, sehen wir auf der Insel Les­bos, wo Faschisten entsprechend aufgeheizt dem Bei­spiel einer Push-Back-Polizei und Schlauch­boot abstechenden Frontex-Soldaten nacheifern und auf Geflüchtete einprügeln. Sogar Hilfsorga­ni­satio­nen wurden tätlich angegriffen, die dann die Insel ver­ließen. Zeitungen meldeten am gestrigen Freitag, dass auch deutsche Neonazis ange­reist sind. Das lässt befürchten, dass sie in Hetzjagden auf Geflüch­tete ihre niederen Gewalt-Triebe auf der völlig überforderten griechischen Insel Lesbos ungestraft ausleben können. Womit sie wohl nicht gerechnet haben, ist eine spontane Abreibung durch lokale Antifaschisten.

Ich weiß von meinen engen griechischen Freunden: Die Solidarität der griechi­schen Inselbewohner mit Geflüch­teten war und ist groß. Wie sie betonen, nicht erst seit 2015, sondern spätestens seit Anfang der 90er Jahre, als viele Flüchtende aus dem Ju­go­slawienkrieg auf den Inseln landeten. Nach 2015 hat sich die Lage auf Lesbos allerdings zugespitzt. In der Bevölkerung hat sich eine große Wut aufgestaut gegen den Auf­bau von geschlossenen La­gern mit ihren menschenunwürdigen Verhält­nis­sen, gegen die Ver­schärfung der Asylpolitik und das Alleine-gelassen-werden von der Regie­rung sowie gegen das drohende Platzen des EU-Deals mit Erdogan. Wohlge­merkt, mehrheitlich nicht gegen die Ge­flüch­teten! Aber genau diese ex­plosive Situation ermuntert Faschisten zu Übergriffen, wie wir sie jetzt sehen mussten. Nach dem Mord an dem Rapper und linken Aktivisten Pavlos Fyssas und der Verurteilung etlicher Chrysi Avgi-Mitglieder hatten die grie­chi­schen Neo-Faschisten einen gewaltigen Dämpfer bekommen. Jetzt haben sie wieder Aufwind.

Kurz nach dem Anschlag in Hanau brach allgemeine Einigkeit aus, der Feind stehe nun doch rechts. Dennoch wurde in den Heute-Nachrichten gefragt: „Ist Multi-Kulti gescheitert?“ Mit einer solchen Frage bedient man weiterhin sowohl rechte Frames, als auch die Seehofersche Mär von der „Migration als Mutter aller Probleme“. Die Herrn und auch Damen, die nichts aus den rassistischen Pogromen während der Asyldebatte der 90iger Jahre, nichts aus der NSU-Mordserie gelernt haben, sitzen gleichzeitig in Talkshows und parlamentarischen Gedenk­stunden und fressen jetzt so viel Kreide, dass in den Schulen auch den letzten Kreidepädagogen das Aus droht.

Und diese Kreidefresser dealen jetzt weiter mit Erdogan. Da bekommt ein faschis­toider Alleinherrscher und Kriegstreiber, dem Völker- und Menschenrecht völlig egal sind, von unseren sich selbst idealisierenden Demo­kraten der Mitte Milliarden zugeschustert, um Menschen, die vor Diktatoren und Krieg geflohen sind, in Lagern zu konzentrieren. Das muss man sich im 75. Jubiläums­jahr nach der Befreiung von Auschwitz, Krieg und Faschismus einmal auf der Hirnschale zergehen lassen!

Wenn wir die Brandstifter von Halle und Hanau bei extrem rechten Ras­sisten wie pi-news im Netz, Pegida & Co. auf den Straßen oder der AfD in den Parlamenten verorten, so unterliegen wir nicht dem verfüh­rerischen Reflex, sich eine rassismusfreie, aufgeklärte Mitte vorzustellen. Und wir verleugnen nicht jene Seite der modernen, neoliberalen Verwer­tungsge­sell­schaft, die die Menschen in ruinöse Konkurrenz jagt und die Aber-Millionen, die zurück bleiben, verachtend ausgrenzt.

Jene Damen und Herren der neoliberalen Mitte wollen uns weiterhin diese Verhältnisse mit ihrer extremen Ungleichheit, mit ihrem alltäglichen Rassismus, mit der Schaffung von immer neuen Fluchtursachen rund um den Globus auch noch als alternativlos verkaufen! Wenn ihr politisches Motto ist, „es kommt drauf an, was hinten rauskommt“, dann frage ich: Sind es nicht immer wieder ihre neoliberalen Exkremente, die den Nährboden für Faschismus bilden? Was gibt es Extremeres als diese bürgerliche Mitte?

Ergänzende bzw. weiterführende Links:

https://griechenlandsoli.com/2020/03/07/erfolgreiches-gefluchtetenhilfeprojekt-auf-lesbos-abgebrannt/

https://griechenlandsoli.com/2020/03/07/deutsche-nazis-auf-lesbos-wir-werden-das-mit-euch-machen-was-wir-mit-euch-in-kalavrita-getan-haben/

https://www.tagesspiegel.de/politik/deutsche-rechtsextremisten-auf-lesbos-krawalltouristen-wollen-mitmischen/25619240.html

https://www.belltower.news/rechtsextremer-grenzschutz-auf-lesbos-ib-aktivist-mario-mueller-und-npd-mann-wollen-europa-verteidigen-96741/